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Sachsen-Anhalt: Gotisches Haus Burgheßler

Im Dorf Burgheßler ca. 20 Kilometer südwestlich von Freyburg verbirgt sich ein ganz besonderes Kleinod. Zumindest für all diejenigen, die gern in die Vergangenheit eintauchen. Jetzt denken Sie vielleicht, so oder so ähnlich kann man das doch in jeder Burg. Das mag schon sein, aber hier, an diesem ganz speziellen Ort, gehen Sie mit Haut und Haaren in den Wellen längst vergangener Zeiten unter.

Schon allein die Anfahrt stimmt Sie darauf ein. Ab Freyburg werden die Straßen immer schmaler. Die Dörfer liegen weiter auseinander und die Landschaft schiebt sich noch ein wenig näher an die Straße heran. In Burgheßler geht es auf der wie ausgestorben wirkenden Hautstraße entlang, eine Kurve nach rechts, über den Hasselbach und dann ist man in einem verwunschenen Tal. Die meisten Häuser dort sind aus dem 18. Jahrhundert, und das sieht man ihnen auch an. Der ausgedehnte Gutshof aus dem Jahre 1692 mit seinem Krüppelwalmdach und dem behäbigen Stein- und Ziegelmauerwerk wird gerade renoviert. Eine Scheune weiter südlich muss aus derselben Zeit stammen. Die dicken Mauern sind ganz aus einem Lehm-Stroh-Gemisch gebaut, so wie ein Töpfer ein großes Gefäß machen würde, Tonschicht für Tonschicht. Bis heute kann man das Streifenmuster der Lehmlagen deutlich an der Fassade erkennen.

Genau zwischen Gutshof und Scheune jedoch befindet sich ein Haus, das weit älter ist. Es steht ein wenig einsam da, nur von ein paar alten Bäumen umringt, und das schon seit über 500 Jahren. Es ist nicht bekannt, wer es gebaut hat oder zu welchem Zweck genau, doch das über anderthalb Meter dicke Mauerwerk mit den sorgfältig gesetzten Blöcken, das Kielbogenportal mit der schweren, eisenbeschlagenen Holztür und die kunstvollen Vorhangfenster (tatsächlich Fenster, deren Fensterrahmen an geraffte Vorhänge erinnern) im oberen Stockwerk lassen darauf schließen, dass dies ein “festes Haus” ist. Mit “festes Haus” sind Häuser gemeint, die vom Boden bis zum Dach aus Stein gebaut sind. Was sich in unserer heutigen Zeit trivial anhört, war im Mittelalter ganz und garnicht gewöhnlich. Die meisten Menschen lebten in Behausungen aus Lehm, Stroh und Holz, allerhöchstens das Fundament war aus Stein. Wenn also ein Haus komplett aus Stein errichtet war, dann konnte man sicher sein, dass die Bewohner Rang und Namen hatten und Gut besassen, dass es zu schützen galt.

Seit 2008 ist das gotische Haus von Burgheßler wieder im Originalzustand des späten 15. Jahrhunderts, und das lohnt es anzuschauen. Zum Glück wohnt der Wächter des Hauses gleich nebenan und schließt für mich auf. Ich erwarte ein von Modernisierungdrang entkerntes Gebäude, doch weit gefehlt. Gleich neben der Eingangstür schraubt sich die originale Wendeltreppe aus Stein in die Höhe. Die originale Raumaufteilung ist erhalten, und in den massiven Trennwänden führen gothischen Türrahmen von einem Raum in den nächsten. Der Fußboden aus Ziegelsteinen ist zwar kein halbes Jahrtausend alt, wird aber schon seit Jahrhunderten abgewetzt. Im zweiten Stockwerk sind in den Fensternischen noch die Sitzbänke erhalten. Da wird es leicht, sich vorzustellen, wie die Damen des Hauses aus sicherer Höhe auf das Treiben vorm Haus hinunterschauten. Fast erwartet man, vor dem Fenster Pferdefuhrwerke und Kaufleute auftauchen zu sehen. An der Decke befindet sich noch die originale Kassettendecke aus Holz, und dort wo sie abgebrochen wurde, liegen die uralten Eichenbalken bloß.

Die Aura des Ortes ist unglaublich. Selten sieht man ein derart altes Gebäude so ungeschminkt und ungeschönt! Aber vielleicht gerade deshalb hat man das Gefühl der Vergangenheit näher kommen zu können als an den meisten anderen Orten. Nichts ist dick übermalt, zugespachtelt oder hinter Verschalungen verschwunden. Man sieht die Beilschläge an den Holzbalken, die Meiselspuren an den Steinen, die unzählige Füße in die Steinstufen der Treppe gerieben haben …

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